Der Wenzelsplatz – Prags Zentrum der Kultur und des Protests

Während der Klassenfahrt nach Prag flaniert die Schulklasse über den Wenzelsplatz

Der Wenzelsplatz hat eine bewegte Geschichte. Vom mittelalterlichen Pferdemarkt zur Flaniermeile, von der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 bis zum Winter 1989, als die Samtene Revolution den Totalitarismus in Tschechien sanft beendete.

Seine reiche Geschichte, die spannende Architektur ringsum und das pulsierende Alltagsleben laden zum ausgiebigen Flanieren ein. Seit über 600 Jahren ist der Wenzelsplatz sozialer Treffpunkt im Zentrum der Goldenen Stadt. Nach seiner Entstehung im 14. Jahrhundert als Rossmarkt sprossen hier alsbald Kneipen, Herbergen und Bordelle wie Pilze aus dem Boden. Eine Richtstätte und ein Pranger zogen Schaulustige zum morbiden Spektakel und kurz darauf entstand das erste richtige Theater in der Platzmitte.

Schon seit 1680 beschützt und überschattet von seinem heiligen Namenspatron hoch zu Ross, erhielt der Wenzelsplatz seinen Namen aber erst im 19. Jahrhundert. Bis dahin fand hier noch jeden Donnerstag der Pferdemarkt statt. Seine Blütezeit erlebte der Platz um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die prachtvollen Fassadenfronten aus Gründerzeit und Jugendstil säumen seitdem das langgestreckte Karree und erinnern eher an eine Prachtmeile als an einen Platz.

Vom Markt zum Monument – Eine Reise durch die Epochen

Heute genießt die Schulklasse hier das kosmopolitische Flair und die weltläufige Weite des gewaltigen Boulevards mit seinen Büropalästen und den Kauf- und Kaffeehäusern aus der Zeit der klassischen Moderne.

Das berühmteste und wohl auch prachtvollste Jugendstilgebäude ist das nach langer Sanierungszeit 2024 wiedereröffnete Grand Hotel Evropa. Das Haus ist Teil der Denkmalschutzzone und wird heute unter dem Namen W Prague von der weltweiten Kette Marriott betrieben. Nur wenige Schritte weiter sticht ein Stück Stalin-Barock aus der Zeit des sozialistischen Realismus aus der prächtigen Fassadenfront heraus. Das Hotel Jalta – eines der Wahrzeichen am Wenzelsplatz, das auf der Liste des tschechischen UNESCO-Weltkulturerbes steht. In dessen Katakomben hat die Klasse heute die einmalige Gelegenheit, ein Geheimnis aus der Zeit des Kalten Krieges zu erkunden – den original erhaltenen Atombunker des Cold War Museum.

Schräg gegenüber, an der Westseite des Wenzelsplatzes und etwas zurückgesetzt, befindet sich die Mutter aller Multiplexzentren. Der riesige, siebenstöckige Lucerna-Palast ist eine Ikone der tschechischen Kommerzarchitektur. Mit einem pompösen Konzertsaal, in dem die Prager Abiturklassen bis heute ihre Abschlussbälle zelebrieren. Hauptattraktion für die Schüler dürfte hier allerdings die historische Shoppingarkade sein. Mit einer Vielzahl an exquisiten Boutiquen und der inzwischen weltberühmten, bronzenen Persiflage auf das Denkmal des heiligen Wenzel von Böhmen. Der Nationalheilige, der hier auf dem Bauch seines umgekehrt von der Decke hängenden Pferdes reitet, ist eines der berühmtesten Werke von David Černý. Der Bildhauer und Prager Objektkünstler gilt als Enfant terrible der tschechischen Kunstszene und hat die Stadt wie kein anderer geprägt.

Flamme der Freiheit – Das Vermächtnis von Jan Palach und Jan Zajíc

Die Anzahl der architektonischen und kulturellen Kostbarkeiten, die den über 700 Meter langen Boulevard heute säumen, ist legion. Und an keinem anderen Ort in der tschechischen Hauptstadt ist die gastronomische und konsumorientierte Infrastruktur so dicht wie am Václavské námestí.

Der Wenzelsplatz ist aber nicht nur Flanier- und Shoppingmeile. Nirgendwo sonst bekommt man einen eindrucksvolleren Einblick in die jüngere Historie des Landes, dessen Schicksalsmomente hier immer wieder symbolisch kulminierten. Kaum ein Platz in Europa war in jüngster Zeit Zeuge so bedeutender politischer Ereignisse. Und kaum ein Platz ist ein so wundervoller wie erschütternder Ort zugleich. Während der Invasion der Warschauer Pakt-Truppen im August 1968 schossen sowjetische Panzer auf das Nationalmuseum. Man vermutete hinter den Mauern den Sitz des tschechischen Rundfunks. Anfang 1969 verbrannten sich hier die Studenten Jan Palach und Jan Zajíc, die als lebende Fackeln ein Fanal gegen die Besatzung ihrer Heimat durch sowjetische Truppen setzen wollten. Im November 1989 dann endlich wurde der Wenzelsplatz zum Schauplatz der Samtenen Revolution. Eine Viertelmillion Menschen protestierte hier gegen das kommunistische Regime. Eine Viertelmillion Menschen beendete hier friedlich eine Ära voller Unterdrückung.

Wer von der Statue des heiligen Wenzel zum Nationalmuseum am Ende des Platzes geht, wird ein schwarzes Holzkreuz im Pflaster finden. Das ist das Mahnmal von Jan Palach. Es gibt keinen besseren Ort, um etwas über den Preis zu erfahren, den ein Einzelner für die Freiheit aller zu zahlen bereit war!

Während der Klassenfahrt nach Prag besucht die Schulklasse den Erinnerungsort an Jan Palach und Jan Zajíc, die den höchsten Preis gegen die Besatzung ihrer tschechischen Heimat durch sowjetische Truppen zahlten und sich aus Protest am 19. Januar 1969 auf dem Wenzelsplatz selbst verbrannten.

Auf Kafkas Spuren in Prag

Während der Klassenfahrt nach Prag begibt sichdie Klassen auf Kafkas Spuren. Hier sehen wir die gewaltige Metallbüste des Schriftstellers, welche von David Černý kreiert wurde.

Das Grab ist nicht zu verfehlen. Nummer 21-14-21. Schilder weisen hier den Weg zu Sektor 21. Unter einer schlichten, weißen Stele liegt Prags bekanntestes Kind begraben. Kafkas letzter Zufluchtsort ist mit tausenden Steinen bedeckt. Manche davon sind bemalt wie Marienkäfer. Vielleicht stellt sich die Generation-Z den bekanntesten Käfer der Weltliteratur nicht mehr als ungeheures Ungeziefer vor, sondern als ein Symbol des Glückseeligkeit. Kafka starb am Mittag des 3. Juni 1924 mit nur 40 Jahren. Schon Tage vorher konnte er nicht mehr schlucken und sprechen. Am Nachmittag des 11. Juni wurde der Dichter dann auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt. Seitdem ist sein Mythos unaufhörlich gewachsen, hat sich gewandelt. Aus Kafka ist eine Ikone geworden, ein Popstar, eine Legende. Es gibt keinen anderen Schriftsteller, dessen Name zu einem Adjektiv wurde.

Heute kommt an Kafka keiner vorbei. Nicht im Deutschunterricht und ganz sicher nicht in Prag. Fast alle seine verstörenden Meisterwerke sind hier entstanden. Man begegnet ihm an allen Ecken und einigen Enden der Stadt. 1883 in einem Haus am Altstädter Ring geboren und nur vierzig Jahre später in einem Sanatorium in Österreich an der Tuberkulose gestorben, ausgezehrt und ausgebrannt. In dieser kurzen Zeit aber hat Kafka in Prag unvergessliche und verstörende Bilder der Macht entworfen. Bilder, die auch heute noch hochaktuell sind. Und Kafka trifft immer noch ins Herz, er springt den Leser förmlich an. Um den berühmtesten Sohn Prags selbst zu zitieren: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

Wer sich während der Klassenfahrt nach Prag an Kafkas Fersen heften möchte, kann mit dieser Spurensuche einen ganzen Tag verbringen. Da ist sicher zuerst das Franz Kafka Museum Prag. Mit vielen Originaldokumente und Hintergrundinformationen zu seinem Leben, seinen Werken, seiner inneren Zerrissenheit. Ein etwas düsterer und dem Vernehmen nach auch nur spärlich ausgeleuchteter Ort. Nicht ganz günstig außerdem. Echte Fans sollten aber allein wegen der Originale einmal da gewesen sein.

Zwischen Spanischer Synagoge und Heilig-Geist-Kirche am Altstädter Ring steht an einem symbolischen Ort das Franz-Kafka-Denkmal. Die Gestaltung des Denkmals ist dabei von seiner Novelle „Beschreibung eines Kampfs“ inspiriert. Ein kleiner Kafka reitet auf der kopflosen Hülle eines Mannes. Dort, wo alles begann und seine Bestimmung nahm. Kafka verbrachte hier und in der benachbarten Straße praktisch den Großteil seines kurzen Lebens. Direkt unter der knapp vier Meter hohen Reiterskulptur aus Bronze verläuft die Grenze zwischen den Prager Stadtteilen Altstadt und Josefov. Die Statue befindet sich hier gewissermaßen in einem imaginierten Raum zwischen drei Religionen. Zwischen Synagoge, katholischer und evangelischer Kirche. Kafka wurde in eine jüdisch-bürgerliche Kaufmannsfamilie geboren. Er sprach Deutsch, Tschechisch und lernte Hebräisch. Schon seine Jugend war geprägt durch Widersprüche. Als Prager wuchs er zwischen Deutschen und Slawen auf, zwischen Juden und Katholiken. In einem Melting Pot der verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen.

Sein Geburtshaus ist nicht besuchbar, es brannte nieder. Alles, was heute noch davon übrig ist, ist die historische Tür und eine Tafel mit einer Inschrift daneben. Nur ein Fragment, symbolisch für den Unvollendeten und Wandelbaren.

Anders sieht es auf der Prager Burg aus. Der Hradschin gehört eh zum Pflichtprogramm während der Klassenfahrt nach Prag. Beim Flanieren durch das Goldene Gässchen besucht die Klasse die Hausnummer 22. In dem bezaubernden, blauen Häuschen lebte Kafka für einige Zeit mit seiner Schwester. Einige seiner bekanntesten Werke sind hier entstanden.

Unbedingt besuchen muss die Klasse auch Kafkas rotierenden Kopf von David Černý direkt über der Metrostation Národní. Wenn ein Erinnerungsort allein von den Dimensionen der Bedeutung des Schriftsteller gerecht wird, dann ist esdiese gewaltige Installation: 39 Tonnen, 42 bewegliche Ebenen, 11 Meter hoch. Die gigantische, rotierende Metallbüste ist seit 2014 in der Nähe vom Wenzelsplatz neben dem neuen Einkaufszentrum Quadri zu bestaunen.

Es gibt noch unzählige weitere Orte, um Kafka während der Klassenfahrt nach Prag näher zu kommen. Einen ausführlichen Überblick bekommt Ihr HIER.

Aber das Wichtigste, was man am Ende der Nacht von Kafka bestaunen kann, sind immer noch seine eindrücklichen Werke zwischen zwei Buchdeckeln, die aus der Goldenen Stadt in Zeit und Raum geschrieben worden. Die Axt an das gefrorene Meer in uns legen.