Auf Kafkas Spuren in Prag

Das Grab ist nicht zu verfehlen. Nummer 21-14-21. Schilder weisen hier den Weg zu Sektor 21. Unter einer schlichten, weißen Stele liegt Prags bekanntestes Kind begraben. Kafkas letzter Zufluchtsort ist mit tausenden Steinen bedeckt. Manche davon sind bemalt wie Marienkäfer. Vielleicht stellt sich die Generation-Z den bekanntesten Käfer der Weltliteratur nicht mehr als ungeheures Ungeziefer vor, sondern als ein Symbol des Glückseeligkeit. Kafka starb am Mittag des 3. Juni 1924 mit nur 40 Jahren. Schon Tage vorher konnte er nicht mehr schlucken und sprechen. Am Nachmittag des 11. Juni wurde der Dichter dann auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag beigesetzt. Seitdem ist sein Mythos unaufhörlich gewachsen, hat sich gewandelt. Aus Kafka ist eine Ikone geworden, ein Popstar, eine Legende. Es gibt keinen anderen Schriftsteller, dessen Name zu einem Adjektiv wurde.

Heute kommt an Kafka keiner vorbei. Nicht im Deutschunterricht und ganz sicher nicht in Prag. Fast alle seine verstörenden Meisterwerke sind hier entstanden. Man begegnet ihm an allen Ecken und einigen Enden der Stadt. 1883 in einem Haus am Altstädter Ring geboren und nur vierzig Jahre später in einem Sanatorium in Österreich an der Tuberkulose gestorben, ausgezehrt und ausgebrannt. In dieser kurzen Zeit aber hat Kafka in Prag unvergessliche und verstörende Bilder der Macht entworfen. Bilder, die auch heute noch hochaktuell sind. Und Kafka trifft immer noch ins Herz, er springt den Leser förmlich an. Um den berühmtesten Sohn Prags selbst zu zitieren: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.”

Wer sich während der Klassenfahrt nach Prag an Kafkas Fersen heften möchte, kann mit dieser Spurensuche einen ganzen Tag verbringen. Da ist sicher zuerst das Franz Kafka Museum Prag. Mit vielen Originaldokumente und Hintergrundinformationen zu seinem Leben, seinen Werken, seiner inneren Zerrissenheit. Ein etwas düsterer und dem Vernehmen nach auch nur spärlich ausgeleuchteter Ort. Nicht ganz günstig außerdem. Echte Fans sollten aber allein wegen der Originale einmal da gewesen sein.

Zwischen Spanischer Synagoge und Heilig-Geist-Kirche am Altstädter Ring steht an einem symbolischen Ort das Franz-Kafka-Denkmal. Die Gestaltung des Denkmals ist dabei von seiner Novelle „Beschreibung eines Kampfs“ inspiriert. Ein kleiner Kafka reitet auf der kopflosen Hülle eines Mannes. Dort, wo alles begann und seine Bestimmung nahm. Kafka verbrachte hier und in der benachbarten Straße praktisch den Großteil seines kurzen Lebens. Direkt unter der knapp vier Meter hohen Reiterskulptur aus Bronze verläuft die Grenze zwischen den Prager Stadtteilen Altstadt und Josefov. Die Statue befindet sich hier gewissermaßen in einem imaginierten Raum zwischen drei Religionen. Zwischen Synagoge, katholischer und evangelischer Kirche. Kafka wurde in eine jüdisch-bürgerliche Kaufmannsfamilie geboren. Er sprach Deutsch, Tschechisch und lernte Hebräisch. Schon seine Jugend war geprägt durch Widersprüche. Als Prager wuchs er zwischen Deutschen und Slawen auf, zwischen Juden und Katholiken. In einem Melting Pot der verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen.

Sein Geburtshaus ist nicht besuchbar, es brannte nieder. Alles, was heute noch davon übrig ist, ist die historische Tür und eine Tafel mit einer Inschrift daneben. Nur ein Fragment, symbolisch für den Unvollendeten und Wandelbaren.

Anders sieht es auf der Prager Burg aus. Der Hradschin gehört eh zum Pflichtprogramm während der Klassenfahrt nach Prag. Beim Flanieren durch das Goldene Gässchen besucht die Klasse die Hausnummer 22. In dem bezaubernden, blauen Häuschen lebte Kafka für einige Zeit mit seiner Schwester. Einige seiner bekanntesten Werke sind hier entstanden.

Unbedingt besuchen muss die Klasse auch Kafkas rotierenden Kopf von David Černý direkt über der Metrostation Národní. Wenn ein Erinnerungsort allein von den Dimensionen der Bedeutung des Schriftsteller gerecht wird, dann ist esdiese gewaltige Installation: 39 Tonnen, 42 bewegliche Ebenen, 11 Meter hoch. Die gigantische, rotierende Metallbüste ist seit 2014 in der Nähe vom Wenzelsplatz neben dem neuen Einkaufszentrum Quadri zu bestaunen.

Es gibt noch unzählige weitere Orte, um Kafka während der Klassenfahrt nach Prag näher zu kommen. Einen ausführlichen Überblick bekommt Ihr HIER.

Aber das Wichtigste, was man am Ende der Nacht von Kafka bestaunen kann, sind immer noch seine eindrücklichen Werke zwischen zwei Buchdeckeln, die aus der Goldenen Stadt in Zeit und Raum geschrieben worden. Die Axt an das gefrorene Meer in uns legen.